CityScience

Von Clea Kächele

Analoge Platzforschung

Die analoge Platzforschung setzt sich aus der quantitative und qualitative Erfassung von Daten auf dem Hamburger Domplatz zusammen und basiert auf klassischen Methoden der empirischen Sozialforschung, darunter teilnehmende Beobachtung, Kartierung und leitfadengestützte Interviews. Die Erhebung liefert Erkenntnisse sowohl über die städtebauliche und typologische Struktur des Domplatzes als auch über die bestehenden Nutzer- und Nutzungskonstellationen. Sie umfasst sowohl quantitative Fragestellungen, wie z.B. “Wie viele Menschen halten sich an welchen Tagen und zu welcher Uhrzeit auf dem Platz auf?“ als auch qualitative platzbezogene Fragestellungen, wie z.B. “Was ist die Nutzungsintention der Platznutzer, und welchen Aktivitäten gehen sie auf dem Platz nach?”. Die zu Beginn des Forschungsprojekts durchgeführte so genannte Leervermessung dient der Erfassung des Status quo des Hamburger Domplatzes.

Die im Zuge der Leervermessung erhobenen Daten bilden sodann sowohl die Basis für die Konzeption der geplanten kulturellen Injektionen als auch, im späteren Verlauf des Projekts, für die Operationalisierung der Vitalisierung des Platzes. Die Analyse der qualitativen Daten fließt ein in die Modellierung von Platzszenarien mit Hilfe des CityScopes. Das Verschneiden von qualitativen und quantitativen Daten soll ein umfassendes Verständnis für die derzeitige Nutzungsstruktur und die ihr zugrundeliegenden Bedingungen des untersuchten Platzes schaffen.

Obwohl die Beobachtung und die Beurteilung einer Nutzung öffentlicher Plätze zunächst trivial erscheinen und sich die Platznutzung mutmaßlich auf die Kategorien Nutzung und Nichtnutzung reduzieren lässt, sind die Funktionalität sowie die sich daraus ergebende Nutzungsvielfalt innerstädtischer Plätze nicht nur im Hinblick auf ihre Gestaltung deutlich vielschichtiger. So können sie als Orte von historischer Relevanz als Wahrzeichen oder Monument dienen, Marktplatz, Vergnügungs- und Eventfläche sowie Orte des Widerstands und Protests sein, oder schlichtweg ein verbindendes Element zwischen mehreren Punkten in der Stadt darstellen. Sie können Raum für gesellschaftliche und soziale Aktivitäten bieten, als Treffpunkt im alltäglichen Trubel des städtischen Lebens fungieren und, dadurch dass sie Zugang zu Luft und Tageslicht gewähren, zum Zwecke der Erholung genutzt werden sowie eine Bühne für Kunst und Kultur bieten (oder sogar selbst Kunstwerke darstellen). Darüber hinaus können sie, je nach Gestaltung, auch aus stadtökologischer Sicht von Relevanz sein, einen wichtigen Lebensraum für Tiere und Vögel darstellen, als Freiräume innerhalb dicht bebauter Quartiere städtische Wärmeinsel-Effekte verringern und als unversiegelte Flächen die Versickerung des Regenwassers ermöglichen.

Die Leervermessung des Domplatzes ist insofern von großer Bedeutung, als dass auf Grundlage der dadurch gewonnenen Erkenntnisse sowohl Empfehlungen für die kulturellen Injektionen abgeleitet werden als auch deren Auswirkungen auf die Nutzung des Platzes ermittelt werden können. „We need to know what works, where, when and for whom” (Lang, Marshall 2017: 3).

Die Notwendigkeit des Einsatzes qualitativer Methoden zur Erfassung der Nutzungsstruktur eines öffentlichen Platzes geht zurück auf die Arbeiten unterschiedlicher, sich auch gegenseitig aufeinander beziehender Stadtforscher der vergangenen Jahrzehnte. Einige dieser Arbeiten werden folgend kurz skizziert, da sie die Grundlage für das Forschungsdesign der analogen Leererfassung bilden.

Die Grundlage der heutigen Stadtbeobachtung haben u.a. Forscher wie Jane Jacobs, Kevin Lynch und Jan Gehl gelegt. Sie übten fundamentale Kritik an der herkömmlichen Stadtplanung und stellten ihr eine detaillierte Analyse von Stadt entgegen, die die Bürger und Nutzer von Städten in den Fokus nehmen. So stellte Jane Jacobs in “The Death and Life of Great American Cities” bereits Anfang der 1960er-Jahre die Bedeutung der Stadtbeobachtung für das Verstehen von Stadt und städtischen Prozessen heraus und schuf dadurch die Basis für das Konzept der behutsamen Stadterneuerung. Kevin Lynch (1965) stellte mit der Methode der kognitiven Karten (“mental maps”) die subjektive Wahrnehmung von Stadt ins Verhältnis zur Architektur und haptischen Struktur der Stadt und bereicherte damit die Untersuchung der Ordnungsstrukturen von Stadt. Lynch unterschied in seinen Kartierungen fünf Grundelemente voneinander, die die Wahrnehmung von Orten beeinflussen: paths (Wege), edges (Grenzlinien), districts (Bereiche), nodes (Brennpunkte), landmarks (Wahrzeichen). Zur Strukturierung von Beobachtungen im öffentlichen Raum präsentierten Jan Gehl und Birgitte Svarre in “How to study public life” ein Schema mit Beobachtungskriterien, das eine präzise Erfassung kleinräumiger Bewegungs- und Nutzungspraktiken im öffentlichen Raum erlaubt. Sie empfehlen dabei zum einen eine Orientierung an fünf Leitfragen: Wie viele? Wer? Wo? Was? Wie lange? Des Weiteren skizzieren sie im Sinne eines Vorschlags ein Vorgehen der Beobachtungen anhand von acht Methoden: Zählen, Kartieren, Aufspüren (Tracing), Verfolgen (Tracking), nach Spuren suchen, Fotografieren, Tagebuch führen, Test-Spaziergänge.

Auch die Arbeiten von Kathrin Wildner (2003) und William H. Whyte (1988) legen den Fokus ihrer räumlichen Analyse auf urbane Plätze. Autoren wie Jon Lang und Nancy Marshall (2017) beschreiben die Relevanz von Plätzen für Städte. Sie weisen unter anderem auf die “ambient qualities of squares” hin, auf die in Form von Visualisierungen sich widersprechender oder auch sich überlagernder Nutzungen und Strukturen von Städten auch Petra Kempf (2009) hinweist.

Ausgehend von den genannten wie auch weiteren Arbeiten wurden für die qualitative Erfassung des Domplatzes verschiedene Methoden der Beobachtung verwendet. Zentrale Schritte der qualitativen Erfassung waren dabei zunächst die Festlegung des Untersuchungsgebiets, gefolgt von kurzen Sequenzen der explorativen Beobachtung, die anschließend systematisiert wurden.

Neben den räumlichen Elementen, die den Domplatz begrenzen, ihn rahmen und definieren, liegt der Fokus der empirischen Forschung insbesondere auf den Akteurskonstellationen sowie auf den Raumnutzungen und -potenzialen des Platzes. Dabei ist es wichtig, die verschiedenen Dimensionen der Platzwahrnehmung (visuell, auditiv, haptisch etc.) zu berücksichtigen und dabei stets unterschiedliche Perspektiven auf den Untersuchungsraum einzunehmen. Schließlich stellt jede Person andere Ansprüche an ihre Umwelt. Während ein Kind den Domplatz möglicherweise als potenziellen Spielplatz wahrnimmt und nach Elementen absucht, die sich zum Spielen und Klettern eignen, nimmt ein Erwachsener den Platz vielleicht als Ort der Rast in der Mittagspause wahr und eine ältere Person erkennt in ihm wiederum einen Treffpunkt der Nachbarschaft.

Das methodische Vorgehen der analogen Platzforschung orientiert sich am Vorgehen der Grounded Theory. Als abduktives Vorgehen angelegt, verfolgt die analoge Leervermessung, mittels Analyse eines Einzelfalls, der Untersuchung (der Nutzung) des Domplatzes hinsichtlich seiner Revitalisierungspotenziale, das Zusammenspiel der unterschiedlichen Nutzungsfaktoren zu erfassen. Die Analyse dieser Faktoren geht sodann ein in die die regelgeleitete Konzeption eines für weitere Platzuntersuchungen/-revitalisierungen einsetzbaren Methodensets. Den theoretischen und methodologischen Hintergrund für die Untersuchung bildet zum einen die Grounded Theory als “gegenstandsbezogene” Theorie (Glaser, Strauss 2010, Truschkat et al. 2005), die Theorie als notwendigerweise datengeneriert betrachtet und sich der Datengenerierung verschiedener Methoden bedient. Als weiterer Ansatz, der für das Projekt voraussichtlich von Nutzen sein kann, ist die Methode des Reallabors, die den transformativen Charakter von Wissenschaft (Schneidewind 2014).

Literatur:

  • Gehl, J., Svarre, B. (2013): How to study public life. Washington D.C.: Island Press.
  • Galland Glaser, B., Strauss, A. L. (2010): Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung. Bern: Verlag Hans Huber.
  • Jacobs, J (1961): The death and life of great american cities. New York: Random House.
  • Kempf, P. (2009): You are the city. Observation, organization and transformation of urban settings. Zürich: Lars Müller Publishers.
  • Lang, J., Marshall, N. (2017): Urban Squares as places, links and displays. Successes and failures. London: Routledge.
  • Lynch, K. (1965): Das Bild der Stadt. Berlin: Birkhäuser.
  • Perec, G. (1974): Versuch, einen Platz in Paris zu erfassen. Lengwil: Libelle-Verlag.
  • Truschkat, I., Kaiser, M., Reinartz, V. (2005): Forschen nach Rezept? Anregungen zum praktischen Umgang mit der Grounded Theory in Qualifikationsarbeiten. In: Forum qualitative Sozialforschung, Volume 6, No. 2, Art. 22. Online abrufbar unter: http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/download/470/1007
  • Whyte, W. H. (1988): The social life of small urban spaces (Video), Online abrufbar unter: https://archive.org/details/SmallUrbanSpaces).
  • Wildner, K (2003): Zócalo – Die Mitte der Stadt Mexiko. Ethnographie eines Platzes. Berlin: Reimer Verlag

Digitale Platzforschung

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